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Januar 2023

Für Klassenkampf gegen Militarismus

Krieg im Osten


Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einem Flakpanzer Gepard, in Putlos bei Oldenburg am 25. August 2022.  (Foto: Axel Heimken/Pool)

USA / NATO / EU / BRD
Die Kriegstreiber sind hier

Deutscher Imperialismus raus aus Osteuropa!

Brecht mit dem Reformismus, ob SPD, Die Linke oder ihre Anhängsel!

Für eine revolutionäre multiethnische Arbeiterpartei!

Darüber gibt es unter den Herrschenden Konsens: Der Krieg in der Ukraine stellt eine Zäsur in der Geschichte des Nachkriegsdeutschlands dar. Oder besser gesagt, Vorkriegsdeutschland. Denn seit dem 24. Februar 2022 steht die Bundesrepublik unmissverständlich mitten im Krieg. Der imperialistische Kapitalismus, unter seiner Führungsmacht USA und dessen Militärallianz, die NATO, versucht der kapitalistischen Regionalmacht Russland eine blutige Niederlage auf den Schlachtfeldern in der Ukraine zu erteilen. Indem sie sich dem Kriegskurs der USA/NATO gegen Russland – und danach China – angeschlossen hat, will die Berliner Regierung Deutschland als die militärische, und nicht nur wirtschaftliche Großmacht Europas behaupten.

Dies zu verwirklichen wird auch gewaltige Auswirkungen im Innern haben, mit sinkenden Einkommen und Kahlschlag von Sozialleistungen, begleitet von einem Angriff auf Grundrechte im Namen der „wehrhaften Demokratie“. Während die durch Krieg und antirussische Sanktionen angespornte Inflation weiterhin die Werktätigen zermürbt, ist die Verelendung der Massen für das deutsche Kapital eine Notwendigkeit, keine politische Option. So wird der Kampf um Nahrung und Brennstoff, für Gesundheit und Wohnraum, zu einem Zusammenstoß mit dem imperialistischen Kriegsdrang, und dem Chaos des kapitalistischen Systems. Selbst in den elementarsten Kämpfen wird immer deutlicher werden, dass die Zeit der Reformen längst vorbei ist und nur ein Kampf für die sozialistische Revolution die Katastrophe verhindern kann.

Am 27. Februar 2022 verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine „Zeitenwende“, was anschließend hochoffiziell als Wort des Jahres erkoren wurde. Worin besteht diese Wende? Zunächst einmal werden im sonst so zugeknöpften Staatssäckel ein, mit der nun im Grundgesetz verankerten Unabhängigkeit vom Staatsbudget geheiligtes, Sondervermögen eröffnet. In Höhe von 100 Milliarden Euro soll dies zur Beförderung von „Frieden, Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit“ in aller Welt in Form eines verstärkten deutschen Militarismus dienen. Scholz prahlte dabei mit seiner Vision von der „stärksten Armee Europas“.

Dieses „Sondervermögen“ bedeutet eine Verdopplung der Militärausgaben gegenüber 2014 auf voraussichtlich mehr als 70 Milliarden Euro. Das wird das größte Militäretat in Europa und, nach dem der USA und Chinas, das drittgrößte in der Welt sein (mit jährlich 10 Milliarden Euro mehr für Waffen als Russland ausgibt). „Ein Befreiungsschlag“ jubelte nicht nur das Hauptorgan der deutschen Bourgeoisie, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (3. März 2022). Die „Befreiung“ besteht vor allem darin, dass mit dem Ukraine-Krieg endlich die politische Rechtfertigung und der Druck für die lange zuvor geplante Aufrüstung erlangt wurde, um das notwendige Budget für diesen neuen deutschen Militarismus durchzupeitschen.

Gleichzeitig, während die alternativ-sozialdemokratische Linkspartei wegen ihrer wiederholten Kapitulationen taumelt, und ihr jeglicher Anschein einer Oppositionspartei entschwindet, sieht die deutsche Bourgeoisie die Möglichkeit, pazifistische Strömungen in der Bevölkerung in den „Krieg für Frieden“ einzureihen. Wenn nur die faschistoide, deutschnationale Alternative für Deutschland (AfD) und Konsorten den Krieg und ihre Konsequenzen zu bekämpfen scheinen, wird jede Opposition gegen den Krieg von der Regierung und ihren Unterstützern als „autoritär“ abgestempelt. Die der „Wehrkräftigkeit“ verpflichtete AfD hat natürlich kein Problem mit dem Rüstungsprogramm und kann nur vorschlagen, noch mehr Mittel freizusetzen, indem die Entwicklungshilfe aus dem Haushalt gestrichen wird.

Ampel-Regierung: grünes Licht für Militarisierung
und mehr kapitalistische Ausbeutung

Wie wir vor mehr als einem Jahr feststellten, wurde die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und Freien Demokraten durch die virtuelle Einstimmigkeit der bürgerlichen Politik ermöglicht:

„Während die deutschen Grenzen für Flüchtlinge dicht gemacht werden, gibt es einen parteiübergreifenden Konsens über die Unterstützung von Polizei und Bundeswehr, Subventionen für Kapitalisten und Austerität für alle anderen. Diese Konstellation erlaubt eine fast kaleidoskopische Vielfalt möglicher Regierungskoalitionen, einschließlich der Marktliberalisten von der FDP.“
–„Koalitionstanz bei der Wahlfarce 2021“ (September 2021)

Für ukrainische Flüchtlinge wurde dann eine vorübergehende Ausnahme gemacht.

Die Grünen an die Front. Wie im NATO-Krieg von 1999, der Jugoslawien zerstörte, stehen die Grünen wieder in der vordersten Reihe der Kriegshetzer. Links: Deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am 8. Februar 2022 bei ihrem Besuch des Dorfes Schyrokyne (bei Mariupol), damals und seit 2015 eine Hochburg der faschistischen Asow-Bataillons und Prawyj Sektor, die den mörderischen Krieg gegen die russische Bevölkerung des Donbass anführten. (Die Welt)

Während Scholz‘ Erklärung im Geheimen vorbereitet wurde, und der Ausbruch des Ukraine-Konflikts zum Vorwand dafür diente, hatten sich die Koalition und ihre Mitgliedsparteien alle schon lange zuvor dem massiven Rüstungsprogramm verschrieben, mit den Grünen als die fanatischsten Verfechter des Feindbildes Russland. Die Propagandakampagne über die „neue Verantwortung“ des deutschen Imperialismus und der Angriff auf den ihm im Weg stehenden „Pazifismus“ begannen sogar noch vor dem Kiewer Putsch 2014 und der darauffolgenden Vereinigung der Krim mit Russland. Die NATO-Partner hatten schon vereinbart, sich auf das Zwei-Prozent-Ziel des Bruttoinlandsprodukts zuzubewegen.

Seit 2014 wurde der Militärhaushalt von 32,5 auf 50,3 Milliarden Euro erhöht, entsprechend dem bisherigen Koalitionsvertrag der SPD mit den Christdemokraten von 2013. Schluß also mit dem Mythos der „kaputtgesparten Bundeswehr“. Tatsächlich haben die langfristigen Projekte des Sondervermögens nichts mit Soldatenunterwäsche oder gar „Beistand“ für die Ukrainer zu tun. Sie betreffen hauptsächlich die Luftwaffe und die Marine. Ein besonders finsterer Aspekt ist der Erwerb der F-35-Tarnkappenbomber aus den USA, die der „nuklearen Teilhabe“, also dem Transport von US-Atombomben dienen sollen. So sieht das Ziel von Bundesfinanzminister Christian Lindner vom Aufbau der „stärksten und schlagkräftigsten Armee in Europa“ aus.

Die Koalition kündigte verschmitzt den Kabinettsbeschluss an, den Mindestlohn auf 12 € zu erhöhen, gleichzeitig mit dem Rüstungsprogramm, und versprach damit Butter und Kanonen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert behauptete, dass das Sondervermögen-Manöver bedeute, „Die Ampelregierung muss von keinem ihrer sozialen Ziele Abstand nehmen“ (Spiegel, 30. Mai 2022). Unsinn. Das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die in Hartz IV verankerte Überwachung und Belästigung von Arbeitslosen zu mildern (die Erhöhung des Regelsatzes glich die Inflation kaum aus), erwies sich als wertlos. Ein finsteres Bündnis aus Arbeitgebern, CDU und AfD widersetzte sich erbittert, und die Änderungen wurden im Bundesrat niedergestimmt. Am Ende änderte sich nur der Name – diese Krümel heißen jetzt „Bürgergeld“.

In der Tat waren, wie mit CDU-Chef und BlackRock-Mann Friedrich Merz, dem de facto vierten Partner der Koalition, vereinbart, einige Projekte, etwa Cybersicherheit, nicht in den 100 Milliarden Euro des Sondervermögens enthalten. Sie müssen in wenigen Jahren sehr wohl durch soziale Sparmaßnahmen kompensiert werden, wozu sicherlich auch eine Anhebung des Renteneintrittsalters gehört. Dies bedeutet auch Kürzungen im Bildungsbereich und sowohl im Gesundheitswesen als auch in der medizinischen Versorgung, trotz der anhaltenden Bedrohung durch COVID. Schon vor dem Krieg meinte Arbeitgeberverbands-Chef Rainer Dulger, „Eine ausgabenwillige Sozialpolitik ist nicht zukunftsfähig. Deshalb werben wir für eine flexiblere Altersgrenze in der Rente und die Konzentration der Arbeitslosenversicherung auf die Kernbereiche“ (WirtschaftsWoche, 29. Dezember 2021).

Die wirtschaftliche Misere, unter der Millionen Menschen leiden, hat tiefe Wurzeln. Im Osten, wo am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, über 100.000 Menschen gegen den Krieg und seine Folgen demonstrierten, liegen Durchschnittslöhne jährlich um 12.000 Euro niedriger als im Westen, und die Hälfte aller Rentnerinnen und Rentner erhält weniger als 1.200 Euro im Monat an Rente. Dies ist eine Folge der absichtlichen Zerstörung der wirtschaftlichen Basis nach der konterrevolutionären Annexion der DDR. Und obwohl die aktuellen Preissteigerungen eine Auswirkung der Sanktionen gegen Russland sind, ist der halbherzige Versuch von Teilen der Linkspartei, Proteste für rein wirtschaftliche Forderungen aufzurufen, ohne den Krieg zu erwähnen, gescheitert. Kein Wunder, dass die Rechte davon profitiert.

Repression auf ganzer Linie


Das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park, am 9. Mai 2022, der Tag des Sieges der Roten Armee über Nazi-Deutschland. In weiten Teilen von Berlin hat der rot-rot-grüne Senat das Tragen von sowjetischen Fahnen verboten.  (Foto: Massimo Rodari / Imago)

„Die Gedanken sind frei“ besagt das Volkslied (was mehrmals für antikommunistische Zwecke gebraucht wurde). Heute nicht so sehr. Die hysterische antirussische Hetzkampagne wird nun gesetzlich gefördert. Es gibt nicht nur das unaufhörliche Sperrfeuer gegen „Putinversteher“ und „russische Desinformation“, das sich bis zur offenen Zensur russischer Medien (RT) erstreckt, sowie die Absage von Aufführungen von Musik, die ein Jahrhundert vor dem gegenwärtigen Krieg von Russen komponiert wurde. Jetzt werden Buchhändler vor Gericht gestellt wegen vermeintlicher Billigung des russischen Kriegs in der Ukraine in einer Ansprache am sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park am letzten 22. Juni, Jahrestag des Überfalls der Naziwehrmacht auf die Sowjetunion in 1941 (Junge Welt, 12. Dezember 2022).

Am 28. März gab das Bundesministerium des Innern bekannt, „Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist eine Straftat. Wer diesen Angriffskrieg öffentlich billigt, kann sich strafbar machen. Das gilt auch für das Zeigen des ‚Z‘-Symbols.“ Der Buchstabe Z, der angeblich für Za Pobedu (Zum Sieg) steht, soll daher angeblich ein Symbol der öffentlichen Unterstützung für die russische Armee sein. Die Erklärung kam, nachdem Ministerien in einigen Bundesländern – darunter Niedersachsen, Hannover, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Bayern – ähnliche Pläne angekündigt hatten, diejenigen zu verfolgen, die Russland öffentlich unterstützen. Niedersachsen und Bayern drohen Tätern mit bis zu drei Jahren Haft.

Im Oktober hat der Deutsche Bundestag den sogenannten „Volksverhetzungsparagrafen“ § 130 verschärft. Künftig kann mit Freiheitsentzug bis zu drei Jahren bestraft werden, wer Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen öffentlich „billigt, leugnet oder gröblich verharmlost“ – eine bewusst vage Formulierung. Dass sich dies in erster Linie gegen das heutige Russland richtet, wurde dann durch den vom Bundestag am 30. November verabschiedeten Beschluss „Holodomor in der Ukraine“ dramatisch unterstrichen. Es definiert die Hungersnot, die die gesamte Sowjetunion in den Jahren 1932-33 heimgesucht hat – das Ergebnis einer Dürre und Stalins katastrophaler Politik der Zwangskollektivierung – als „Völkermord“, der sich angeblich speziell gegen die ukrainische Nation richtete.

Diese Umschreibung der tatsächlichen Geschichte wurde vor Jahrzehnten von den Überresten der faschistischen Bandera-Gruppe ukrainischer Nationalisten im Exil ausgearbeitet und propagiert. Aber jetzt riskieren Journalisten, Historiker, Lehrer und andere die dieser gefälschten „Völkermord“-Behauptung widersprechen, bis zu drei Jahre Gefängnis. Zensur im Dienste der faschistischen Speerspitze der imperialistischen Hilfstruppen in der Ukraine – das läuft in der Tat auf eine schrittweise Rehabilitierung des Dritten Reichs hinaus. So war es am 8./9. Mai 2022 während des Gedenkens an die Befreiung Deutschlands vom Faschismus 1945, in weiten Teilen Berlins verboten die Sowjetfahne zu hissen.

Und zum Jahresende, während Skandale um faschistische Nester in Polizei und Armee weiterhin an der Tagesordnung sind, versuchte die Regierung im Dezember, ihre „demokratischen“ Referenzen wieder aufzupolieren, indem sie einige Dutzend faschistoide „Reichsbürger“ theatralisch zusammentrieb, die in einen komischen Opern-Putsch verwickelt waren. (Der BND hat die Dokumentation dazu noch nicht veröffentlicht.)

Entfesselt die Macht der Arbeiterklasse


Hafenarbeiter in Hamburg streiken im Juli 2022 unter dem Motto, "Inflationsmonster stoppen". Die Bosse versuchten die Streiks mittels Einstweiliger Verfügungen des örtlichen Arbeitsgerichts abzuwenden, ohne Erfolg. Als die Polizei versuchte, Demonstranten festzunehmen, haben die streikenden Arbeiter sich stark verteidigt. Es war der längste Arbeitskampf in den Häfen seit mehr als 40 Jahren.  (Foto: Norddeutscher Rundfunk)

Die deutsche Bourgeoisie beabsichtigt, den Kostenschub der Inflation auf die Arbeiterklasse in Deutschland abzuwälzen und die Werktätigen und Armen auf die Härten einer Kriegs- und Mangelwirtschaft einzuschwören. „Frieren für die Ukraine.“ Seit Anfang 2022 hat die Verarmung rasant zugenommen, erkennbar z. B. an den völlig überlaufenen und überlasteten freien Essensausgaben der ehrenamtlichen (nicht staatlichen) „Tafeln“, die jetzt 2 Millionen von ihren Ausgaben Abhängige registrieren, etwa 750.000 mehr als im Vorjahr, darunter viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, Erwerbslose, Rentner und Geringverdiener.

In einer „Konzertierten Aktion“, eine institutionalisierte Form der Klassenkollaboration, wurden die Gewerkschaftsführer mit ins Boot geholt, um mit einem gezielten Verwirrspiel von Forderungen und Konzessionen die Arbeiterklasse ruhig zu halten. Die Botschaft wurde am Ende aber deutlich gemacht: wenn es hart auf hart geht, wird die Gewerkschaftsbürokratie das deutsche Kapital auf Kosten der Arbeiterklasse zu retten versuchen. Und besonders sieht sie sich als vollwertiger Partner in der Regierungskoalition: „So viel Gewerkschaft steckt in der Ampel-Koalition“, schwärmte die IG Metall im Dezember 2021. Die Bürokratie hat teilweise sogar auf den Anschein einer eigenständigen Rolle verzichtet: „Exorbitante Inflationsraten sind nicht durch Tarifpolitik auszugleichen“ erklärte Roman Zitzelsberger, der Leiter der IG Metall im Schlüsselbezirk Baden-Württemberg (Stuttgarter Zeitung, 23.05.2022).

Scholz hatte allen Grund, die „bisher sehr umsichtige Lohnpolitik“ der DGB-Bürokraten zu loben. Im November 2021 akzeptierte ver.di eine Lohnerhöhung von 2,8 % für öffentlich Bedienstete, insbesondere im Gesundheitsbereich. Da es keinen Streik gab, durften die Mitglieder nicht über diese Ergebnisse abstimmen. Im September 2022 einigte sich die IG Bergbau, Chemie, Energie auf zwei Lohnerhöhungen von 3,25 % über zwei Jahre, also 6,5 %, plus zwei Einmalzahlungen von 1.500 €, für Arbeiter in der Chemiebranche. Im Oktober akzeptierte die IG Metall in Baden-Württemberg eine Lohnerhöhung von 5,2 % im Juni 2023 und 3,3 % im Mai 2024, plus zwei Einmalzahlungen. In all diesen Fällen handelte es sich angesichts einer jährlichen Inflationsrate von damals über 10% (und der Anstieg der wesentlichen Energie- und Lebensmittelkosten ist viel höher) um Reallohnkürzungen.

Wir sollten uns jedoch daran erinnern, was im ersten Fall von „Konzertierter Aktion“, die 1967 ins Leben gerufen wurde, um Lohnforderungen zu bremsen und die Inflation zu dämpfen, passiert ist. Die Gewerkschaftsbürokratie arbeitete natürlich mit und traf sich regelmäßig mit Vertretern der Regierung, der Arbeitgeberverbände und der Bundesbank. Die Reallöhne fingen an zu sinken. Dies aber führte zu einer Reihe wilder Streiks, hauptsächlich im Bergbau und der Stahlindustrie, aber auch im öffentlichen Dienst – die berühmten Septemberstreiks von 1969 von bis zu 140.000 Arbeitern, was zu gesteigerten Lohnerhöhungen für über 8 Millionen Beschäftigte führte.

Inmitten der Kette von Betrug gab es bereits einen solchen Vorgeschmack auf die potenzielle Macht der Arbeiterklasse. So kam es am 15.Juli 2022 in deutschen Häfen zu einem 48-Stunden-Streik und Forderungen nach inflationsausgleichenden Lohnerhöhungen gegen den Reallohnverlust. Die Bosse und ihr kapitalistischer Staat antworteten, nachdem ein gerichtliches Streikverbot gescheitert war, mit brutalem Polizeieinsatz und einem Verbot weiterer Streiks bis zu weiteren Tarifverhandlungen Ende August. Die Macht der mehrere tausend Arbeiter in Deutschlands größter Hafenstadt Hamburg zeigte sich, als sie die in Kampfmontur aufgelaufene Polizei, von der sie vorher angegriffen worden waren, einschüchterten und unter physischen Auseinandersetzungen und Sprechchören, „Wir sind der Hafen“, zurückdrängten. Am Ende haben die Hafenarbeiter bis zu etwas über 9 % gewonnen, und neue Verhandlungen in 2023.

Der vielversprochene „Heiße Herbst“ von sozialer Unruhen ist ausgeblieben, dank der Feuerwehr der pro-kapitalistischen Gewerkschaftsbürokratie und der Linkspartei, die es geschafft haben, die potentiellen Brandherde einzudämmen und „unkontrollierte“ Ausbrüche von Klassenkampf abzulenken. Letztendlich brauchen wir eine proletarische Gegenoffensive gegen den imperialistischen Krieg, die Übergangsforderungen aufstellt – von der Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnverlust und einer gleitenden Lohnskala bis zur Arbeiterkontrolle über die Betriebe. Derartige Forderungen sind grundlegend unvereinbar mit dem Kapitalismus und müssen den Weg zur sozialistischen Revolution zeigen. Das bedeutet einen Kampf für eine revolutionäre Arbeiterpartei der proletarischen Vorhut, die den Würgegriff der Reformisten durchbricht und die schlummernde Macht der Arbeiterklasse in Deutschland entfesselt.

Um drohende Deindustrialisierung zu vermeiden –
für ein rotes Europa der Arbeiterräte!


LKWs blockieren Straßen im serbischen Stadtteil von Mitrovica, Kosovo, am 27. Dezember 2022. Die Proteste der belagerten Bevölkerung in dem von Serben bewohnten Gebiet des Kosovo wurden durch eine Provokation ausgelöst, die vom (deutschen) EU-Hochkommissar für den Kosovo genehmigt wurde. Bundeskanzler Scholz hat angekündigt, dass Deutschland die Westbalkanstaaten unter seine Patenschaft nehmen will. 
(Foto: Bojan Slavkovic / Reuters)

Indem sie Washingtons Forderung von Sanktionen gegen Russland befolgt haben, haben es die deutschen und EU-Herrscher geschafft, sich ins eigene Fleisch zu schneiden. Seit dem 19. Jahrhundert, in zwei Weltkriegen, wurde der deutsche Imperialismus von einem „Drang nach Osten“ angetrieben, um seinen Bedarf an Rohstoffen, fossilen Brennstoffen und Nahrungsmitteln zu stillen. Während Jahrzehnten war die deutsche Industrie aufgrund ihres Zugangs zu billigem russischem Erdgas rentabel. Jetzt nicht mehr. Langfristig ist es für das deutsche Kapital keine Lösung, teures LNG-Gas aus den USA und Katar zu beziehen, während die halbe Welt – und vor allem China – günstige russische Energieträger bezieht. Die deutsche Wirtschaft wird damit die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt verlieren. Kurzfristig kann das nur durch eine starke Reduzierung des Lebensstandards der Werktätigen in Deutschland und der EU kompensiert werden.

Die versuchte Isolierung Russlands vom Weltmarkt durch das Sanktionsregime ist bereits in den Anfängen gescheitert. So ist die deutsche Bourgeoisie, nach ihrem anfänglichen Wahn von der „Deindustrialisierung Russlands“ (von der Leyen), selbst mit Deindustrialisierung bedroht. Aus wirtschaftlicher Notwendigkeit hat sie die Unterwerfung Russlands durch dessen Niederlage auf dem Schlachtfeld in der Ukraine und durch Regime-Change in Moskau auf ihre Fahnen geschrieben. Damit ist die Gefahr eines atomaren Weltkriegs enorm gestiegen. Aber Russland kann zurückschlagen, mit Effekt. Für die Werktätigen, Unterdrückten und Armen weltweit steht die Frage kaum jemals schärfer seit dem zweiten Weltkrieg: Sozialismus oder Barbarei.

Die Pandemie von COVID mit über einer Million von Todesopfern in der EU, samt Grenzschließungen, Lockdowns und Streitereien um Schutzausrüstung und Impfpflicht, hat die Zerbrechlichkeit der Europäischen Union als imperialistisches Bündnis offengelegt. Ebenso die allseitige Zerrüttung des Weltmarkts, die den Widerspruch zwischen einerseits dem erstickenden Rahmen des Privateigentums und der nationalen Grenzen und andererseits der internationalen Entwicklung der Produktion verdeutlicht. Und all das wird noch verschärft durch den Versuch, Russland durch Sanktionen zur Kapitulation zu zwingen. Italien und Spanien zum Beispiel, die nie in dem Maße auf russisches Gas angewiesen waren wie Deutschland, wollen wissen, warum sie ihren Energieverbrauch reduzieren sollten, um die geringeren Gaslieferungen Deutschlands auszugleichen.

Deutschland bemüht sich, russisches Gas zu ersetzen (das viel angekündigte Abkommen mit Katar wird etwas weniger als 3 % seines Gasverbrauchs decken), und US-Exporte werden die Lücke kaum füllen. Die Auswirkungen sind bereits in Produktionskürzungen (z. B. Düngemittel) der chemischen Industrie zu spüren; BASF droht mit dem Abbau seiner europäischen Werke (einschließlich Ludwigshafen) und der Verlagerung in die USA, und China. ArcelorMittal hat bereits Stahlfabriken stillgelegt angesichts der hohen Energiepreise: „Die Produktion in Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig“ (Die Welt, 12. September 2022). Aber die EU beharrt auf die selbstzerstörerischen antirussischen Sanktionen, und legt sanfte Beschwerden in Washington ein über die Subventionen, die die US-Regierung ihren Elektrofahrzeugen und erneuerbaren Energiezweigen gewährt.

Angesichts der enormen Schwierigkeiten bei seiner wirtschaftlichen und militärischen Neuorientierung möchte der deutsche Imperialismus das von ihm dominierte europäische Bündnis straffen, und zentralisieren. Scholz sagte bereits im Juli 2022, die Europäische Union könne sich nationale Vetos nicht mehr leisten, weil sie der EU die sicherheits- und außenpolitischen Entscheidungsbefugnisse nehmen würden. Aber er kommt nicht drum herum, dass das Bündnis kein europäischer „Superstaat“ ist, dass die verschiedenen Bourgeoisien ihre eigenen Nationalinteressen haben. Der Kontinent bleibt sehr anfällig für die Teile-und-Herrsche-Pläne des US-Imperialismus. Hundert Jahre später gibt es Echos aus der Zeit, als die USA, wie Leo Trotzki es ausdrückte, beabsichtigten, „Europa auf Ration“ zu setzen. Bei dieser Gelegenheit (1924) notierte er, „Die europäische Sozialdemokratie verwandelt sich vor unseren Augen in einen politischen Agenten des amerikanischen Kapitals.“ Heute auch, mit Beihilfe der Grünen.

Gleichzeitig wollen die deutschen Imperialisten die EU ausweiten. Während sie auf einen Widerstand der polnischen nationalistischen Regierung in Warschau stoßen, wollen sie, unter dem Schirm der NATO, ihr Engagement im Südosten Europas wiederbeleben. Nachdem Berlin in den 90er Jahren die Zerstörung des multinationalen deformierten Arbeiterstaats Jugoslawien vorantrieb (Anerkennung und Bewaffnung der faschistoiden Regierung Kroatiens, Unterstützung der UCK in Kosovo), will die von der SPD geführte Regierung jetzt ihren Einflussbereich im Balkan erweitern. So schrieb Scholz neulich über „Die globale Zeitenwende“ im einflussreichen amerikanischen Magazin Foreign Affairs (5. Dezember 2022), dass:

„der EU-Beitritt für alle sechs Staaten des Westbalkan endlich Wirklichkeit werden muss – ein Ziel, für das ich mich auch persönlich einsetze. Aus diesem Grunde habe ich den sogenannten Berliner Prozess für die Westbalkanstaaten wiederbelebt, der zum Ziel hat, die regionale Zusammenarbeit zu vertiefen, die Staaten des westlichen Balkans und seine Bürgerinnen und Bürger stärker zusammenzubringen und auf den EU-Beitritt vorzubereiten.“

Die Internationalistische Gruppe, Sektion der Liga für die Vierte Internationale, hingegen, sagt: Deutscher Imperialismus, raus aus Osteuropa!

Mit der Streikwelle in Großbritannien und dem drohenden Rentenstreit in Frankreich (wo die Gewerkschaften und drei Viertel der Bevölkerung laut Umfragen eine Erhöhung des Rentenalters rundweg ablehnen) zeigt Europa erste Anzeichen einer Wiederbelebung des Klassenkampfs. Er entwickelt sich zum großen Teil so quälend langsam wegen des Mangels an revolutionärer politischer Führung mit der politischen Courage, den imperialistischen Krieg frontal zu bekämpfen. Nicht nur die Regierungs-Sozialdemokraten, sondern auch die überwältigende Mehrheit der sogenannten „extremen Linken“ sind zu bloßen PR-Agenten für den imperialistischen Kriegskurs geworden. Weshalb gab es keinen „heißen Herbst“? Genau deshalb.


Protest-Kundgebung des Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall Berlin amd 26. Juli 2022 gegen die Verhaftung acht italienischer Gewerkschafter. Auf Plakaten der Internationalistischen Gruppe steht: "Hände weg von der USB und SI COBAS!", und "Italienische Arbeiter zeigen den Weg -- Stoppt Waffenlieferungen an die Ukraine durch Arbeiteraktionen!"  (Foto: Permanente Revolution)

Für internationalistischen, revolutionären Klassenkampf! Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Ersetzt die kapitalistischen Regierungen durch sozialistische Revolutionen von Berlin bis Washington, von Kiew bis Moskau. Dies ist nur möglich durch die Wiederschmiedung einer Vierten Internationale, die das Programm des authentischen Trotzkismus verkörpert.