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  Oktober 2019

Verteidigt die Kurden! Vertreibt US/NATO-Imperialisten!

Für internationale Arbeiteraktionen um den Angriff der USA-Türkei-NATO
gegen die Kurden zu zerschlagen


Syrische Kurden in Ras al-Ain beim Protest gegen die bevorstehende türkische Invasion, am 9. Oktober.
(Foto: Delil Souleiman / Agence France-Presse)

Kämpft für Arbeiterrevolution von der Türkei und Syrien bis Iran und Ägypten!

Für eine sozialistische Republik Vereinigtes Kurdistan in einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens

Der nachfolgende Artikel ist übersetzt aus The Internationalist Nr. 57, September-Oktober 2019.

14. OKTOBER – Zwischen den kurdisch geführten syrischen Demokratischen Kräften und der Regierung von Baschar al-Assad wurde eine Vereinbarung angekündigt, wonach die syrische Armee angesichts der türkischen Invasion Grenzpositionen einnehmen soll. Dies ändert derzeit nichts an dem grundlegenden Charakter der Besetzung Nordsyriens durch die Türkei mit der Unterstützung des Weißen Hauses, die sich gegen die Kurden richtet. Wir verteidigen Syrien auch gegen den Angriff der USA und der Türkei.

Die lang erwartete türkische Invasion im Nordosten Syriens begann am 9. Oktober, zwei Tage nachdem US-Präsident Donald Trump dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan den Startschuss gegeben hatte. Das unmittelbare Ziel des Angriffs ist die kurdische YPG-Miliz (Volksverteidigungs-Einheiten) sowie die von der YPG angeführte Syrian Democratic Forces (SDF). In Wirklichkeit ist die gesamte kurdische Bevölkerung im Nordosten Syriens, etwa 2 Millionen Menschen, von Massenvertreibung und Massakern bedroht. Genau das geschah, als die türkische Armee im Januar 2018 den nordwestlichen syrischen Kanton Afrin besetzte und Zehntausende Kurden zur Flucht zwang.

Am ersten Tag der Invasion führte das türkische Militär 181 Luftangriffe gegen Ziele in Syrien durch und schlug mit schwerer Artillerie auf die Grenzstädte Tel Abyad und Ras al-Ain ein. Laut Angaben der Vereinten Nationen sind rund 100.000 Menschen auf kurdischem Territorium aus ihren Häusern geflohen. Die YPG/SDF versprach, sich dem türkischen Angriff zu widersetzen. Sie erwiderte das Feuer und sandte Raketen gegen die Polizeistation in der türkischen Stadt Akcakale. Am zweiten Tag wurden Krankenhäuser evakuiert, als türkische Kampfflugzeuge und Artillerie die kurdischen Gebiete von Kobanê im Westen bis nach Qamischli 400 km nach Osten unter Beschuss nahmen. „Die ganze Grenze brannte“, sagte ein SDF-Sprecher.

Der türkische Präsident Erdoğan droht mit dieser Besetzung seit mehreren Jahren mit dem Hinweis auf die „nationale Sicherheit“. Er bezeichnet die syrisch-kurdische PYD (Partei der Demokratischen Union) und ihre YPG-Miliz als „Terroristen“, da sie Verbindungen zur türkischen PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) unterhalten, und von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten in der Allianz der imperialistischen NATO (North Atlantic Treaty Organization) als solche bezeichnet sind. Aber die wahren Terroristen sind die türkischen Regierungen, die jahrzehntelang die kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei terrorisiert haben, und die US-Imperialisten, die Syrien in den letzten fünf Jahren Bombenterror ausgesetzt haben (wie früher in Afghanistan und im Irak).

Das US-Militär hat die türkische Invasion nur ungern gebilligt, nachdem es die YPG / SDF als Bodentruppen seines Krieges gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien eingesetzt hatte. Hochrangige Vertreter des Pentagons und US-Gesandte in der Region haben gewarnt, dass ohne die kurdisch geführte Miliz ein Wiederaufleben des IS wahrscheinlich ist. Aber Erdoğan hätte die Besetzung niemals ohne die Erlaubnis der USA vorgenommen, die Trump in seinem Anruf vom 7. Oktober gegeben hatte. Außerdem gab der US-Präsident bereits im vergangenen De­zember bekannt, dass er US-Streitkräfte aus Syrien abziehen und der Türkei, den NATO-Juniorpartner des US-Imperi­alismus, mit dem Krieg gegen den IS beauftragen würde.

Westliche Medien stellen die Kämpfe als „Zusammenstoß zweier US-Verbündeter“ dar, bei dem die USA „beiseite treten“. In Wirklichkeit haben die USA bei der Durchführung dieses Angriffs aktiv mit der Türkei zusammengearbeitet. Die New York Times (10. Oktober) berichtete, „während der letzten Wochen, als türkische Militärbeamte den Angriff planten, erhielten sie amerikanische Überwachungsvideos und Informationen von Aufklärungsflugzeugen. Die Informationen könnten ihnen dabei geholfen haben, kurdische Positionen aufzuspüren.“ Außerdem erhielten türkische Flugzeuge Zugang zu einem Paket amerikanischer Geheiminforma­tion vom Schlachtfeld im Nordosten Syriens. Doch jetzt „hat das US-Militär… die Unterstützung für die Miliz vollständig eingestellt.“

Die Wahrheit ist, dass dieser jüngste Krieg gegen die Kurden eine kombinierte Operation zwischen den USA, der Türkei und der NATO ist, gegen die klassenbewusste Arbeiter und Gegner des Imperialismus überall Widerstand leisten und die zu besiegen suchen müssen. Die türkische Invasion zielt darauf ab, 2 Millionen syrisch-arabische Flüchtlinge gewaltsam in kurdische Regionen zu überführen und die Kurden in die syrische Wüste zu drängen – eine „ethnische Säuberung“ in großem Umfang. Es ist auch das vorhersehbare Ergebnis des Teufelspakts der kurdischen bürgerlichen Führung, die sich im Krieg gegen den Islamischen Staat als Söldnertruppen für den US-Imperialismus einsetzte. Jetzt zahlt das kurdische Volk den Preis.

Die Liga für die Vierte Internationale hat seit ihrer Gründung aufgerufen, die PKK gegen Repressionen zu verteidigen, und sich für das Recht des kurdischen Volkes auf Selbstbestimmung eingesetzt. Die LVI fordert eine sozialistische Republik des vereinigten Kurdistan als Teil eines proletarischen Kampfes gegen die Imperialisten und ihre nahöstlichen Satrapen und zionistischen Verbündeten. Als die belagerten Kurden in Kobanê vor fünf Jahren verzweifelt IS-Dschihadisten (heilige Krieger) abgewehrt haben, schrieben wir:

„Proletarische Revolutionäre würden die kurdischen Gebiete gegen Angriffe des Assad-Regimes oder der Freien Syrischen Armee verteidigen, und bestimmt gegen den Islamischen Staat, dessen Sieg die Abschlachtung von Kurden bedeuten würde.“

Gleichzeitig, als die PYD/YPG-Führer sich als Unterstützung für die Bombenkampagne des demokratischen US-Präsidenten Obama in Syrien gemeldet haben, verurteilten wir diesen schicksalhaften Schritt und warnten:

„Die US- und europäischen Imperialisten werden niemals kurdische Unabhängigkeit akzeptieren, oder auch nur eine richtige Autonomie in Nordsyrien… Das würde die osmanischen Ambitionen des Islamisten Erdoğan und den türkischen Nationalismus der [türkischen] Armee bedrohen. Und die NATO-Türkei ist ein Dreh- und Angelpunkt für die westliche imperialistische Vorherrschaft im Nahen Osten.“
–„For Workers Action to Defeat Barack Obama’s Iraq/Syria War“, The Internationalist Nr. 38, Oktober/November 2014

Das kurdische Volk: Opfer der imperialistischen Aufteilung des Nahen Ostens

Das kurdische Volk ist mit über 40 Millionen Einwohnern in einem zusammenhängenden, größtenteils bergigen Gebiet des Nahen Ostens die größte Nation der Welt ohne Staat. Als die siegreichen imperialistischen Mächte der Alliierten das besiegte Osmanische Reich nach dem Ersten Weltkrieg zerstückelten, haben sie im Vertrag von Sèvres von 1920 das Versprechen eines unabhängigen kurdischen Staates angeboten. Dieses Versprechen wurde jedoch im Vertrag von Lausanne von 1924 zerrissen, der die kurdische Nation zerschnitt und sie zu einer unterdrückten Minderheit in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran machte, die sich alle erbittert gegen die kurdische Unabhängigkeit oder sogar gegen die Autonomie stellen.

Die Türkei verbot die kurdische Sprache oder die bloße Erwähnung der Wörter „Kurdistan“ oder „Kurdisch“, während sie kurdische Regionen Jahrzehnten brutaler militärischer Besetzung unterwarf. Der Irak vertrieb Kurden aus ölreichen Gebieten im Norden. Zu Beginn des Kalten Krieges zerschlug der Iran 1946 eine mit der Sowjetunion verbündete kurdische Republik und verfolgte seitdem iranische Kurden, sowohl unter dem Schah als auch unter den Mullahs. Syrien unter Hafez al-Assad (Vater des derzeitigen Präsidenten, Bashar al-Assad) verbot auch die kurdische Sprache, verweigerte den Kurden die Staatsbürgerschaft und „arabisierte“ kurdische Regionen, indem es Zehntausende Beduinen-Araber entlang der Nordgrenze umsiedelte.

Angesichts eines von Abdullah Öcalan angeführten linken kurdischen Aufstands der PKK haben die türkischen Herrscher, sowohl die Armee mit ihren „säkularen“ republikanischen Verbündeten als auch der Islamist Erdoğan, seit Ende der 1970er Jahre einen Vernichtungskrieg im Südosten geführt und Zehntausende Kurden getötet. Der autoritäre türkische Präsident, der „Hitlers Deutschland“ zitiert als die Art „Einheitsstaat“, den er mit seinen Verfassungsreformen aufbauen möchte, will nun den „Ruhm“ des Osmanischen Reiches wiederherstellen. Er beabsichtigt, Millionen von Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg in eine „Sicherheitszone“ umzusiedeln, die von der türkischen Armee besetzt und von türkisch unterstützten syrisch-islamistischen Milizen überwacht wird.


Einwohner von Ras al-Ain, Syrien, fliehen vor der türkischen Bombardierung.
(Foto: Delil Souleiman / Agence France-Presse)

Um seine grandiosen Träume zu verwirklichen, gelobt der angehende Sultan von Ankara, Nordsyrien von „Terroristen“ zu befreien, d.h., die Kurden en masse zu vertreiben. Dies erinnert an die Vernichtung von über einer Million Armeniern durch die osmanische Türkei im Ersten Weltkrieg. Erdoğan wandte sich gegen den Begriff „Völkermord“ und verteidigte die Massendeportationen und Massaker von 1915 als „Umsiedlung der armenischen Banden und ihrer Anhänger“ und als „die vernünftigste Aktion“. Gespenstisch ist, dass Ras al-Ain, das jetzt unter türkischem Angriff stand, der Ort eines Konzentrationslagers war, in dem armenische Deportierte festgehalten wurden, bevor ein Todesmarsch in die syrische Wüste um Deir ez-Zor stattfand, wohin Erdoğan heute die Kurden vertreiben will .

Ob er dazu in der Lage ist, ist eine andere Frage. Die Kurden haben eine Armee von 60.000 erfahrenen Kämpfern, einige mit schweren Waffen. Während sie nicht hoffen können, die 350.000 Mann starke türkische Armee mit ihrer Rüstung (Panzer und Artillerie) und Luftwaffe mit Waffengewalt zu überwinden, könnte die YPG/SDF eine effektive Guerilla-Truppe sein. Sie könnte die türkischen Stellungen andauernd bedrängen und die syrische Marionettenmiliz der Türkei, die Überreste der von der CIA unterstützten „Freien Syrischen Armee“, abknallen. Die „FSA“ ist nie eine wirksame Kampftruppe gewesen, sie verbrachte den größten Teil des Krieges in türkischen Hotellobbys, massakrierte Dorfbewohner der alawitischen religiösen Minderheit1 und posierten für Fototermine mit US-Politikern wie John McCain.

Der Versuch, 2 Millionen Kurden mit 2 Millionen sunnitisch-arabischen Flüchtlingen zu ersetzen, ist ein Rezept für ein großangelegtes kommunalistisches Blutvergießen. Viele dieser Flüchtlinge waren Stadtbewohner, die auf den Feldern Nordsyriens nichts anfangen können, und relativ wenige stammen aus dieser Region: Sie müssen mit vorgehaltener Waffe „umgesiedelt“ werden. Die kurdische Bevölkerung hat wiederholt Versuchen von den Assads oder dem IS wi­derstanden, sie zu vertreiben. Ihre Jugend ist bewaffnet und kampferprobt, und sie können nirgendwo anders hin. Die Bühne ist frei nicht nur für Massaker durch die türkischen Besatzer und ihre Söldnerschläger, sondern auch für Turbulenzen, die sich auf Kurden und Aleviten in der Südtürkei ausbreiten könnten.

Die seltsamen Weggefährten der YPG

Trumps plötzliche Aktion stieß bei Demokraten und Republikanern im Kongress, im Pentagon, in der CIA, im Außenministerium und praktisch im gesamten außenpolitischen Establishment auf Schreie von „Schande“ und „Verrat“. Das offizielle Washington befürchtet, dass seine Rhetorik, „endlose Kriege“ abzulehnen und die Übergabe der Polizeiarbeit „für ihre Nachbarschaft“ an die Türkei ein Schlag gegen die imperialistische Hegemonie der USA auf der ganzen Welt sein könnte. Sie befürchten, dass „die Preisgabe unserer kurdischen Verbündeten“ es viel schwieriger machen wird, andere für „Koalitionen der Willigen“ zu gewinnen, die für die Rolle der USA als Weltpolizist in der „neuen Weltordnung“ des 21. Jahrhunderts maßgeblich waren.

Trump erwidert, dass die Kurden „massive Summen an Geld und Ausrüstung erhalten“ hatten, um Verbündete der USA zu sein. Dies ist kaum das erste Mal, dass die Imperialisten ihre Stellvertreter im Stich lassen. Erinnern wir uns an die Hmong-Guerillas in Laos, die „Geheimarmee“ der CIA in Laos, oder an die „Harkis“, die mit der französischen Kolonialarmee in Algerien gegen die Unabhängigkeit kämpften. Aber für die Kurden ist dies ein weiterer Stich der US-Gönner in den Rücken, wie 1975, als die CIA die Gelder für die Guerillas abstellte, die unter dem langjährigen Führer Mustafa Barzani gegen die irakische Regierung kämpften, was 200.000 kurdische Flüchtlinge zur Folge hatte; oder wie im Golfkrieg von 1991, als die USA einen kurdischen Aufstand im Norden anzettelten und die Rebellen dann Saddam Husseins Unterdrückung überließen.

Zahlreiche westliche Linke, insbesondere anarchistische Liberale und Sozialdemokraten, haben die PYD-Herrschaft in Nordsyrien begrüßt, die die Kurden Rojava (oder Westkurdistan) nennen, insbesondere wegen ihres Säkularismus und der Förderung von Frauenrechten. Viele sprechen von einer „Rojava-Revolution“. Sie haben die Rolle der YPG als Fußsoldaten für den US-Imperialismus heruntergespielt und schweigen heute auffällig darüber. Die größten Unterstützer der PYD/YPG in Washington sind jedoch die CIA, das Pentagon, die rechten Republikaner und die Obama-Demokraten. International versuchen die israelischen Zionisten, Bündnisse mit kurdischen Gruppen zu schmieden (und zu finanzieren), um dem arabischen Nationalismus entgegenzuwirken.

In dieser Situation, in der ein Sammelsurium von etlichen politischen Strömungen – die vom New Yorker Metropolitan Anarchist Coordinating Committee bis hin zum republikanischen Senator Lindsey Graham, dem ehemaligen Chef des US-amerikanischen Zentralkommandos, Joseph Votel, und dem israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu reicht – die türkische Invasion anprangert und zur Unterstützung der Kurden aufruft, bestehen wir Trotzkisten darauf, dass es notwendig ist, den US/NATO-Imperialismus zu besiegen und aus dem Nahen Osten zu vertreiben. Trotz Trumps Dolchstoß fordert die YPG die USA auf, eine Flugverbotszone über Nordsyrien zu erzwingen, um die türkische Luftwaffe fernzuhalten. Implizit oder explizit wollen sie die US-Allianz wiederherstellen.

Heute verteidigen wir die syrischen Kurden gegen einen imperialistischen Angriff, der ihre Existenz bedroht. Die fatale Rolle der YPG bei der Durchführung der Drecksarbeit für den imperialistischen Krieg der USA gegen den Islamischen Staat sollte jedoch nicht vergessen werden. Die Überwachungsgruppe Airwars hat rund 1.600 Zivilisten aufgezählt, die während des brutalen viermonatigen US/YPG-Angriffs auf die IS „Hauptstadt“ von Raqqa im Jahr 2017 getötet wurden (The Intercept, 15. April; Airwars, 7. August). Unter Verwendung von dem was der ehemalige US-Verteidigungsministers James Mattis als „Vernichtungstaktik“ bezeichnet, wurde die Stadt eingeebnet. 11.000 Gebäude wurden zerstört, und 150.000 Überlebende blieben mitten in den Trümmern zurück.


Gemeinsame Patrouille U.S. und türkischer Militärs in September. Das Pentagon hat der Türkei bei der Vorbereitung der Invasion gegen die Kurden geholfen.
(Foto: Delil Souleiman / Agence France-Presse)

Die YPG fungierte auch als Gefängniswärter für die US-Imperialisten. Die YPG/SDF-Truppen, die Raqqa räumten, holten Tausende sunnitisch-arabischer Einwohner von der Straße und schickten sie in Konzentrationslager in der Wüste. Es wird berichtet, dass fast alle der 1.000 mit dem IS in Verbindung stehenden Gefangenen, die in Kerkern des Internierungslagers Ayn Issa festgehalten wurden, infolge der türkischen Bombenangriffe geflohen sind. Unerwähnt blieb, dass weitere 11.000 Personen dort festgehalten sind. Die Bedingungen im Lager Al Hawl, in dem mehr als 70.000 „Vertriebene“ in Zelten untergebracht sind, und die bitterer Kälte und 50° Celsius Hitze ausgesetzt bleiben, wurden vom Internationalen Roten Kreuz als „apokalyptisch“ bezeichnet.

Im Jahre 2015 haben wir geschrieben: „Während wir die syrischen Kurden, Assyrer und andere Minderheiten, die vom Islamischen Staat angegriffen wurden, verteidigten, warnten wir davor, ein Bündnis mit dem Imperialismus zu schließen, der sie als Kanonenfutter benutzen würde, und sie verwerfen wird, wenn es zweckmäßig ist“ („International Perspectives of the League for the Fourth International“ [Internationale Perspektiven der Liga für die Vierte Internationale], The Internationalist Nr. 40, Sommer 2015). Aber als die YPG arabische Gebiete besetzte in der Rolle von Söldnertruppen für das Pentagon, schrieben wir, dass die LVI:

„hat von Anfang an aufgerufen, die Imperialisten zu besiegen und aus der Region zu vertreiben und erklärt, dass Schläge gegen die imperialistische Intervention und Herrschaft, sogar durch ultrareaktionäre Kräfte wie den IS, im Interesse der Arbeiterklasse und unterdrückten Völker der Welt sind. Jetzt ist es notwendig, darüber hinaus zu gehen und die Verteidigung von Raqqa gegen den Angriff des Imperialismus und alliierter Kräfte – einschließlich der kurdisch geführten YPG/SDF – zu fordern.“
– „Defend Raqqa – Drive U.S./NATO Imperialists Out of Syria and Iraq!“ [Verteidigt Raqqa – Vertreibt US/NATO-Imperialisten aus Syrien und dem Irak!] The Internationalist Nr. 43, Mai-Juni 2016

Mittlerer Osten in Aufruhr, alle gegen die Kurden

Belagert von seinen eigenen Anhängern twitterte der größenwahnsinnige US-Präsident Trump: „Falls die Türkei irgendetwas tut, das ich, in meiner grossen und unerreichten Weisheit, als tabu betrachte, werde ich die Wirtschaft der Türkei völlig zerstören und auslöschen (ich habe dies schon früher getan!)“ Was diese Grenzen sind, wurde nicht spezifiziert. Dieses verrücktes Getöse wurde dann vom US-Finanzminister Steven Mnuchin wiederholt. Angesichts eines möglichen Amtsenthebungs­verfahrens im Senat gelang es dem wahnwitzigen US-Präsidenten, republikanische und demokratische Senatoren gegen sich zu vereinen, die eine gemeinsame Resolution für die Verhängung von Sanktionen gegen die Türkei vorbereiteten.

Islamistische Söldnertruppen (oben) von der Türkei befördert, haben schon die „ethnische Säuberung“ von Kurden in Nordsyrien unternommen. (Foto: AP)

Auf der anderen Seite des Atlantiks legten Großbritannien, Frankreich und Deutschland die Spannungen um den Brexit beiseite, um eine gemeinsame Erklärung gegen die türkische Invasion zu verfassen, worin sie drohten, künftige Verkäufe von Waffen, die in Syrien eingesetzt werden könnten, an die Türkei zu unterbinden. Dies hindert die türkische Armee jedoch nicht daran, ihre über 350 in Deutschland hergestellten Leopard 2-Panzer und ihre über 1.000 in Frankreich hergestellten ERYX- und Milan-Raketen zum Abschießen von Kurden einzusetzen. Erdoğan antwortete auf die heuchlerische europäische Aussage, indem er drohte, „Dann öffnen wir die Schleuse und schicken euch 3,6 Millionen Flüchtlinge“. Während Weltführer untereinander Schul­hof-Verspottungen austauschen, ist der einzige, der von seinen Drohungen profitieren könnte, der Grö­ßenwahnsinnige in Ankara.

Was den syrischen Verbündeten Russland betrifft, so traf sich Erdoğan letzten Monat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem iranischen Staatschef Hassan Rouhani auf einem dreigliedrigen Gipfeltreffen in Ankara zu „regionalen Fragen“. Sie diskutierten die Pläne der Türkei für eine „Sicherheitszone“, in der „die bis zu drei Millionen Flüchtlinge, die derzeit in der Türkei leben, untergebracht werden könnten“ wenn sie sich von der türkischen Grenze bis nach Deir al Zor und Raqqa, weit südlich der Grenze erstrecken würde (Reuters, 16. September). Sie einigten sich auf das „Astana-Format“ der Gespräche zwischen der syrischen Regierung und der Opposition (ohne die Kurden)3 und darauf, dass die USA ihre Truppen unverzüglich aus dem Nordosten Syriens abziehen sollten.

Währenddessen haben Massenproteste arbeitsloser junger Männer in Bagdad, die irakische Hauptstadt, in Aufruhr versetzt. Die Regierung reagierte mit heftiger Repression (schon über 100 Tote). Bisher gibt es keine anerkannte Führung, aber wenn sich eine herausstellt, könnte dies das Regime erschüttern, das sowohl Kunde von Washington als auch von Teheran ist. Und nun, während die US-Truppen aus Syrien abziehen um angeblich „die endlosen Kriege (zu) beenden“, hat Trump weitere 1.000 Soldaten und Patriot-Raketensysteme in den Osten Saudi-Arabiens entsandt, wo sie als Stolperdraht fungieren werden, um einen US-Angriff auszulösen, falls iranisch unterstützte Streitkräfte erneut saudische Ölanlagen angreifen sollten, wie im vergangenen Monat.


Kämpfer der YPG/SDF waren Bodentruppen der US/NATO-Vernichtungskrieg als sie Raqqa eroberten (oben). Jetzt bezahlen die Kurden den Preis des Teufelspakts. (Foto: Erik de Castro / Reuters)

In diesem Szenario, in dem die gesamte Region erneut in Aufruhr gerät, treten die wichtigsten regionalen Akteure aktiv oder passiv gegen die Kurden an. Die PYD/YPG/SDF wird wahrscheinlich gezwungen sein, mit dem Assad-Regime unter russischer Schirmherrschaft zu verhandeln, aber die Regierung in Damaskus wird niemals einer regionalen Autonomie für Rojava zustimmen, insbesondere wenn die Kurden eine eigene Armee haben, geschweige denn kurdischer Unabhängigkeit. Die einzige Möglichkeit, das Recht der Kurden auf Selbstbestimmung zu verteidigen, besteht in einem revolutionären Kampf, der weit über die Grenzen Syriens hin­ausgeht. Und in diesem Szenario, wie wir in unserem Artikel von 2014 geschrieben haben, ist das „türkische Proletariat der Schlüssel“.

Permanente Revolution vom Nahen Osten zu den imperialistischen Metropolen

Wie Leo Trotzki in seiner Theorie und seinem Programm der permanenten Revolution feststellte, und wie im Oktober 1917 durch die bolschewistische Revolution in Russland bestätigt wurde, sind in der imperialistischen Epoche des verfallenden Kapitalismus sogar die Erfolge der klassischen bürgerlichen Revolutionen, einschließlich der nationalen Emanzipation, Demokratie und Agrarrevolution nicht zu erreichen, ohne dass die Arbeiterklasse die Macht übernimmt und die sozialistische Revolution international ausdehnt. Nirgendwo trifft dies mehr zu als im Nahen Osten, einem Dreh- und Angelpunkt imperialistischer Weltherrschaft, wo die am Ende des Ersten Weltkriegs willkürlich gezogenen nationalen Grenzen ein Jahrhundert nationaler Unterdrückung des kurdischen Volkes hervorgebracht haben.

Ohne sozialistische Revolution wird es keine Demokratie für die Unterdrückten im Nahen Osten geben, nur das eine oder andere autoritäre Regime, ob islamistisch, wie Erdoğans oder „säkulare“ Militärregime, wie Assads in Syrien, die ägyptische Regierungen vor und nach dem „Arabischen Frühling“, und frühere türkischen Regierungen. Der Kampf für die Arbeiterrevolution – die allein die unzähligen unterdrückten Nationen, Nationalitäten, Völker und ethnischen / religiösen Gemeinschaften im Nahen Osten befreien kann – muss einen internationalen Charakter haben. Die 10 Millionen starke türkische Arbeiterklasse ist, zusammen mit Millionen ägyptischer, irakischer und iranischer Arbeiter, der Schlüssel zum Kampf für die Revolution in Syrien.

Die türkische Arbeiterklasse hat die Macht, die Invasion von hinten zu besiegen. Aktuelle Berichte weisen darauf hin, dass der Krieg gegen die syrischen Kurden in der Türkei sehr beliebt ist, und während die Regierung Hunderte von Menschen festnimmt, nur weil sie kritische Kommentare in den sozialen Medien abgeben, ist die Forderung nach Arbeiterstreiks gegen den Krieg vielleicht nicht sofort durchführbar. Aber die Türkei befindet sich in einer scharfen Wirtschaftskrise, und klassenbewusste türkische Arbeiter würden sich jeglichen Bemühun­gen widersetzen, ihre Kämpfe dem Krieg zu unterwerfen, und so weit wie möglich gegen den Krieg und für demokratische Rechte, die unter massiven Angriffen des Regimes sind, kämpfen.

Heute liegt der Schwerpunkt des Kampfes der Arbeiterklasse gegen den Krieg in Europa, insbesondere in Deutschland, wo weit über eine Million türkische Arbeiter und mehrere hunderttausend kurdische Arbeiter seit Jahren einen bedeutenden Teil des multiethnischen Proletariats ausmachen. Hier kann die türkisch-kurdische Arbeitereinheit geschmiedet werden. Gewerkschafter der IG Metall und anderer Gewerkschaften haben in der Vergangenheit gegen türkische Angriffe auf die Kurden demonstriert. Jetzt ist ein entscheidender Zeitpunkt, an dem Arbeitsniederlegungen und Arbeitskampfmaßnahmen gegen die Invasion der Türkei und der NATO dringend gefordert sind. Stattdessen fordern die Gewerkschaftsspitzen die Imperialisten der Europäischen Union auf, Erdoğan unter Druck zu setzen.

Entscheidend für den Kampf gegen den imperialistischen Angriff auf die syrischen Kurden ist, eine revolutionäre internationalistische Führung aufzubauen, die die Kerne von leninistischen kommunistischen Parteien, basierend auf dem trotzkistischen Programm der permanenten Revolution – der sozialistischen Revolution, die sich vom Nahen Osten bis zu den imperialistischen Metropolen erstreckt –, formiert. Die Liga für die Vierte Internationale und ihre nationalen Sektionen, von der Internationalistischen Gruppe in Deutschland über den Nucleo Internazionalista d’Italia bis hin zu Brasilien, Mexiko und den Vereinigten Staaten, versuchen, diese Avantgarde in der Hitze des Klassenkampfes zu schmieden. ■


  1. 1.Die Alawiten sind eine religiöse Sekte, die etwa ein Sechstel (17%) der syrischen Bevölkerung ausmacht und in den Bergen entlang der Mittelmeerküste lebt. Die Alawiten sind nominell Muslime und behaupten, ein Zweig des schiitischen Islam zu sein. Viele Sunniten, die vorwiegende religiöse Gemeinde in Syrien, betrachten sie als Abtrünnige. Die alawitischen Glaubenssätze enthalten eine Reihe christlicher Elemente, und da ihre Theologie für alle, bis auf einen winzigen Klerus, weitgehend geheim ist und sie keine Kultstätten haben, ist die alawitische Bevölkerung in vielerlei Hinsicht funktionell säkular. Die Alawiten erlangten unter französischer Kolonialherrschaft eine herausragende Position im Militär und bilden den harten Kern des militärischen Assad-Regimes, das seit 1970 an der Macht ist.
  2. 2.Die Aleviten werden oft mit den Alawiten verwechselt und sind wie diese eine synkretistische Sekte, die Elemente verschiedener Religionen verkörpert, obwohl die Aleviten mehr klar islamische Elemente haben. Aleviten, die in der Südtürkei leben und bis zu 20% der türkischen Bevölkerung ausmachen, sind eine verfolgte religiöse Minderheit. Hunderte wurden vor, während und nach dem Staatsstreich von 1980 getötet.
  3. 3.Seit Ende 2016 finden in der Hauptstadt von Kasachstan, Astana, unter der Schirmherrschaft der Vereinigten Nationen, indirekte Gespräche mit dem Iran, Russland und der Türkei als Garanten für einen Waffenstillstand zwischen der syrischen Regierung und einigen der bewaffneten islamistischen Opposition statt. In diesen Gesprächen wurde der von Russland vorgeschlagene Entwurf einer föderalen „Republik Syrien“ erörtert. Die politischen Vertreter der YPG/SDF wurden ausdrücklich nicht zu den Gesprächen eingeladen.