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  Sommer 2017

„Kommunisten“, die gegen die Forderung nach Asyl für syrische Flüchtlinge sind

Spartakisten auf Abwegen



Flüchtlinge kommen auf der griechischen Insel Lesbos an, August 2015. Spartakist-Arbeiterpartei und die Internationale Kommunistische Liga weigern sich, Asyl für syrische und andere Flüchtlinge zu fordern. 
(Foto: Sergey Ponomarev/New York Times)

Nachdem Donald Trump seine immigranten- und flüchtlingsfeindliche Präsidialverfügung unterzeichnete, druckte Workers Vanguard, Zeitung der Spartacist League/U.S. (SL, Schwesterorganisation der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands), den Titelseitenartikel „Trump eskaliert Obamas Krieg gegen Immigranten“ (10. Februar 1917). Während Losungen wie „Nieder mit dem anti-muslimischen Verbot!“ und „Volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten!“ aufgestellt werden, gibt es eine bemerkenswerte Auslassung: Die SL erhebt keine Forderung, Flüchtlinge rein zu lassen. Aber das Einreiseverbot für Flüchtlinge war ein Schwerpunkt von Trumps Dekret. Dies ist kein unbeabsichtigtes Versehen. Seit 2015 verfolgen die SL und ihre fehlbenannte Internationale Kommunistische Liga (IKL) eine chauvinistische Linie, Forderungen nach Asyl für die Opfer der plündernden amerikanischen und europäischen Imperialisten abzulehnen.

WV stellt fest, dass „Irak, Syrien, Libyen, Somalia und Jemen zu den Ländern gehören, die verwüstet wurden von Kriegen, Besetzungen, Drohnenangriffen und anderen militärischen Übergriffen des US-Imperialismus. Hunderttausende wurden getötet, und weitere Millionen als verzweifelte Flüchtlinge vertrieben.“ Sehr wahr. Also was soll aus jenen werden, die Zuflucht vor imperialistischem Gemetzel suchen? Donald Trumps Präsidialverfügung schließt syrische Flüchtlinge auf unbestimmte Zeit aus und versperrt allen Flüchtlingen für vier Monate die Einreise. Als die Verfügung am 28. Januar in Kraft gesetzt wurde und unzählige Reisende plötzlich fest saßen, eilten Tausende zu den Flughäfen um zu fordern: „Lasst sie rein!“ Was sagt die Spartacist League? Nichts. Sie erhebt keine Forderung, Flüchtlinge einzulassen, und über Trumps möchte-gern-Mauer entlang der mexikanischen Grenze hat ihr Artikel nur zu sagen, dass da bereits eine existiert.

Der im Anschluss abgedruckte Artikel (übersetzt aus The Internationalist Nr. 44, Sommer 2016) dokumentiert die beschämende Linie der IKL in Bezug auf Flüchtlinge, die das Ergebnis einer internen „Korrektur“ ist. In der internen Diskussion erklärte ein führender Sprecher der Spartakisten, dass „diejenigen, die vor ‚den Verwerfungen des Krieges‘ fliehen, keine Flüchtlinge in irgendeinem politisch belangreichen Sinne sind, sondern eher ‚Displaced Persons‘“, und so jemand kein „Recht auf Asyl im... Land seiner Wahl“ hätte. Ein anderer argumentierte zynisch, dass die Ãœbernahme einer „Lasst-sie-rein“-Linie „die Notwendigkeit von proletarischer Revolution und Arbeitermacht mit sozialarbeiterischem Gutmenschentum ersetzen“ würden. Die ekelhafte „kein-Rechte-auf-Asyl“-Linie der IKL ist eine Kapitulation vor immigrantenfeindlichem Chauvinismus und jetzt auch eine Kapitulation vor dem Rassisten Trump.

Während die heutige IKL mit Nachdruck Forderungen nach Immigrantenrechten auf diejenigen beschränkt „die es hierher geschafft haben“ (Pech für zentralamerikanische Mütter und Kinder, die zu ihren Angehörigen in den USA wollen, oder für syrische Familien die in Flüchtlingslagern feststecken), steht die Liga für die Vierte Internationale auf dem historischen Spartacist-Standpunkt für volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten und für das Recht auf Asyl für Flüchtlinge. Und wir kämpfen aktiv dafür, solche Forderungen in die Realität umzusetzen.

Am 20. Oktober 2016, in Reaktion auf Obamas Abweisung von tausenden Haitianern, die an der mexikanischen Grenze festsaßen, initiierten die Internationalist Group (USA), Grupo Internacionalista (Mexiko) und die Liga Quarta-Internacionalista do Brasil, Sektionen der LVI, koordinierte Proteste in New York, San Diego, Tijuana und Rio de Janeiro um zu fordern: „Stoppt die Abweisung von Haitianern! Weg mit allen Abschiebungen! Besatzungstruppen raus aus Haiti!“ Die Spartakisten wurden extra eingeladen, tauchten aber nicht auf. Sie befanden sich zweifellos in einer politischen Zwickmühle: Ihre Repräsentanten sprachen sich gegen Forderungen aus, Flüchtlinge vor Europas Toren einzulassen. Ihre Weigerung rechtfertigten die IKLer indem sie sagten, diese „suchen lediglich ein besseres, sichereres Leben“. Und nun waren hier viele tausend Haitianer, die von der Karibikinsel nach den Zerstörungen des Erdbebens von 2010 flüchten mussten und lautstark an der US-Grenze Einlass verlangen, um „ein besseres Leben zu suchen“. Nach dem Beben, unterstützten SL und IKL grotesker Weise die US-Invasion, zu der Schiffspatrouillen gehörten, um haitianische Flüchtlinge von den USA fernzuhalten. Die SL propagierte die Lüge, dass Washington Katastrophenhilfe leistete, und denunzierte die Internationalist Group für unsere scharfe Kritik – nur um später zuzugeben das ihre Linie ein Verrat war.

* * * * *

Beim jährlichen Fest von Lutte Ouvrière bei Paris hatten wir im Mai 2016 einige seltsame „Diskussionen“, wenn man sie so nennen will, mit führenden Vertretern und Mitgliedern der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL, in Deutschland die Spartakist-Arbeiterpartei). Als wir dort standen mit unserer The-Internationalist-Sonderausgabe „Back to Trotskyism“ (Zurück zum Trotzkismus), wurden wir von einem Typen immer und immer wieder angschrien und als „gutmenschelnde Liberale“ beschimpft. Wenn wir forderten, Flüchtlinge in die Europäische Union (EU) zu lassen, sagte er, würde ganz Afrika kommen wollen. Ihn anfangs nicht erkennend, hielten wir ihn für irgendeine Art von rechten Immigrations-Gegner, der sich irgendwie in diesen Kirmes der reformistischen Linken verirrt hatte. Aber es stellte sich bald heraus, dass er ein langjähriges Mitglied der IKL war, und dass dies nur der Vorgeschmack auf weitere Auseinandersetzungen über die nächsten zwei Tage sein sollte. Unheimliche Begegnung der vierten Art, könnte man sagen, seltsamer sogar als der Film von 1977 über die Begegnung mit Außerirdischen.

Die IKL hatte eine Team geschickt, um die Unterstützer der Liga für die Vierte Internationale und der Better-Late-Than-Never Faction (kurz zuvor aus Spartacist League/U.S. ausgeschlossen) zu drangsalieren. Sie waren besonders erregt über die folgende Aussage unseres Artikels: „Durch einen scharfen Kampf gegen imperialistischen Krieg können militante Teile der italienischen Arbeiterklasse... eine führende Rolle spielen, indem sie für volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten und Asyl für alle Flüchtlinge eintreten, die durch Arbeiteraktionen und den Kampf für sozialistische Revolution beiderseits des Mittelmeers errungen werden müssen.“ Sie tadelten uns, dass wir angeblich Illusionen in die Möglichkeit eines „menschlichen“ Imperialismus förderten, weil wir Asyl für diejenigen verlangen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, was auf das „Öffnen der Grenzen“ hinauslaufe (tut es nicht). Wenn man Asyl für syrische Flüchtlinge fordert, wollten sie wissen, was ist dann mit Flüchtlingen aus Eritrea, was ist mit Flüchtlingen des jemenitischen Bürgerkriegs? (Was soll das bedeuten, sollen die draußen bleiben?)

Um den Austausch zurück auf die Erde zu bringen, fragten wir: „Aber was ist mit den syrischen Flüchtlingen? Es gibt hunderttausende, die jetzt gerade an Europas Tore klopfen, was sagt ihr dazu?“ Die Antwort von Len Meyers, Redakteur der englischen Ausgabe des Spartacist, an Jan Norden, Redakteur von The Internationalist war: „Oh, also du und [Bundeskanzlerin] Merkel werdet all die syrischen Flüchtlinge retten, ist das so?“ Auf dieses verblüffende Statement war unsere Antwort, dass Merkel syrische Flüchtlinge natürlich für ihre eigenen imperialistischen Zwecke rein ließ, aber das die IKL hier die Seite rechter, immigrantenfeindlicher Kräfte in Deutschland einnahm. Wir fragten, was mit den Syrern ist, die sich an der türkischen Küste sammeln um Europa zu erreichen, was sollen die tun? Nach dem Versuch, mit dem Verweis auf Afghanen und sogar Pakistanis unter diesen abzulenken, kam schließlich die Antwort, dass sie zu Hause bleiben und kämpfen könnten. Kämpfen in Syrien – für wen? Nach der IKL-Linie sollten syrische Kurden (und andere) militärisch eine Seite mit dem Islamischen Staat einnehmen, der sie massakrieren würde.

Nachdem wir die Argumente des IKL-Sprechers verdauen konnten, kamen wir später auf dieses Thema zurück, und fragten was mit den griechischen Soldaten ist, die angekündigt hatten, immigrantenfeindliche Befehle an der Grenze zwischen Thrakien und der Türkei nicht zu befolgen? (Siehe unser Artikel „Wieder Generalstreiks in Griechenland: Revolutionäre Führung ist nötig“, The Internationalist Nr. 42, Januar/Februar 2016). Wenn diese sich weigerten, Flüchtlinge zu verhaften, die versuchen, Griechenland zu erreichen, oder ihnen halfen, den Zaun zu überwinden, wäre das Unterstützung von „humanitärem Imperialismus“? Die IKLer sagten nur, dass, wenn die Flüchtlinge es herein schafften, sie dann Staatsbürgerschaft bekommen sollten. Aber was ist mit den Griechen, die halfen Flüchtlinge aus dem Wasser vor Lesbos zu ziehen, ist das Unterstützung des Imperialismus? Keine Antwort. Von der IKL würde der Vorschlag von Arbeiteraktionen zur Unterstützung von Flüchtlingen, die über die Grenze wollen, als „Liberalismus für offene Grenzen“ angeprangert werden. Wirkliche Trotzkisten würden solche Aktionen begrüßen – als erfrischenden Ausdruck von internationaler Solidarität und als Akt von elementarem menschlichen Anstand.

Eine weitere Spitzfindigkeit der IKL war die Behauptung, dass unsere Forderung nach „Vollen Staatsbürgerrechten für alle Immigranten und Flüchtlinge“ bedeutet, dass ein in Frankreich lebender Einwanderer in Deutschland Staatsbürgerschaft haben sollte. Und so ging es weiter, jedes Argument absurder oder reaktionärer als das vorige. In Wirklichkeit war ein Hauptgrund der Aufruhrs über Flüchtlinge, von der BLTN-Fraktionserklärung abzulenken, in der die IKL-Linie zur Konterrevolution in DDR und Sowjetunion in Frage gestellt wurde: Wurde diese von den Imperialisten geführt (wie die IKL früher richtig sagte), oder von den Stalinisten (wie sie später behauptete, als sie 1996 die Gründer der LVI ausschloss, und wie es dann in ihrer Grundsatzerklärung kodifiziert wurde)? „Die Kreml-Bürokraten“, beharrte Meyers, während andere sagten „die Imperialisten natürlich“. Eine Woche zuvor beim 1. Mai in New York City bestand das IKL-Ablenkungsmanöver darin, der LVI und unserer brasilianischen Sektion Unterstützung der Volksfront vorzuwerfen (obwohl unsere Artikel zum Thema eindeutig betitelt ist: „Keine politische Unterstützung für die Volksfront-Regierung“), da wir gegen die rechte Impeachment-Kampagne sind, Speerspitze für kapitalistische Angriffen auf die Arbeiterklasse (siehe „SL/ICL: Impeachment durch die eigene VergangenheitThe Internationalist Nr. 44, Sommer 2016).

IKL: Interner Kampf über Rechte von Flüchtlingen

Aber hinter all den Ablenkungen, unlogischen Schlussfolgerungen, ad absurdum geführten Argumenten und Beschimpfungen, gibt es noch etwas anderes, was dem unwissenden Beobachter nicht unmittelbar klar sein kann: Im Vorjahr gab es in der IKL einen ausgeweiteten internen Kampf über genau diese Fragen. Es begann mit zwei Artikeln, die in letzter Minute aus Workers Vanguard (29. Mai 2015) zurück gezogen wurden. In einem stand:

„Die Internationale Kommunistische Liga (Vierte Internationalisten) fordert volle Staatsbürgerrechte für alle Einwanderer, Arbeitsmigranten und asylsuchende Flüchtlinge. Dazu gehört das Recht, in jedes EU-Land zu reisen, genau wie Wahlrecht und gleicher Zugang zu allen bestehenden Gesundheits- und Sozialdiensten. Wir fordern auch das volle und uneingeschränkte Recht auf Asyl...“

Nach Einwänden des nationalen Vorsitzender der SL/U.S. Jim Robertson, beschloss das Internationale Sekretariat der IKL einen Antrag, dass dies hinausläuft auf „eine reaktionäre utopische ‚offene-Grenzen‘-Linie, die eine Art von humanitärem Liberalismus reflektiert. Die Artikel eliminierten die Unterscheidung zwischen Einwanderern, die es in ein Land erreicht haben, und denen, die das nicht haben. Darüber hinaus vertrat der EU-Artikel Forderungen, die auf ein ‚soziales Europa‘ hinauslaufen.“ Wie so oft kommt die Rage, mit der SL/IKL die Internationalist Group/LVI denunzieren, zum Teil daher, dass sie gegen sich selbst polemisieren.

Also nach jahrzehntelangen Forderungen nach vollen Staatsbürgerrechten für alle Einwanderer, beschränkt die IKL das jetzt sorgfältig auf „diejenigen, die es bis hierher geschafft haben“, wie es im italienischen Spartaco (April 2016) vorsichtig heißt. Aber abgesehen davon, dass ein einstmals wachrüttelnd gemeintes Pro-Immigranten-Statement (wer es hierher geschafft hat, sollte gleichberechtigt hier bleiben dürfen), in eine Ausschluss-Klausel verdreht wurde, hat die heutige IKL nun auch ihre frühere Position zur Forderung nach Asyl für Flüchtlinge revidiert, die sie jahrzehntelang vertrat. So erklärte das Internationale Sekretariat der IKL in einem Antrag vom 15. Oktober 2015 rückwirkend den Aufruf in einem Workers-Vanguard-Artikel (27. Mai 2011) aus Italien, „Für das Recht auf Asyl für alle Flüchtlinge aus Libyen!“, für „zu weitgehend“. Aber es ist nicht nur die LTd‘I oder die heutige IKL, die die Todsünde begingen, Asyl für Flüchtlinge zu fordern. Auch die damals revolutionäre Spartacist-Tendenz hat wiederholt danach gerufen:

Betraf das nur Flüchtlinge, die es „hierher geschafft haben“? Nein. Hat das Illusionen in „humanitären Imperialismus“ gefördert? Bedeute es, dass die gesamte Bevölkerung der Karibik oder Mittelamerikas in die USA auswandern würde? Wohl kaum.

Die heutige IKL behauptet, dass die Forderung nach Asyl für alle Flüchtlinge zu einem bestimmten Zeitpunkt bedeutet, Asyl für alle potenziellen Flüchtlinge jederzeit und überall zu fordern. Dann argumentieren sie, dass dies auf „offene Grenzen“ hinausläuft – all das als Rechtfertigung dafür, nicht zu fordern, die Flüchtlinge rein zu lassen. Damit verleugnet sie nicht nur ihre eigene ehrenvolle Vergangenheit, sondern auch das Erbe des revolutionären Trotzkismus bis zurück zu den 1930er-Jahren, wie ihr selbst nur allzu bewusst ist. So schrieb der Urheber (LTd'I) des gestoppten WV-Artikels (in einem internen Dokument vom 30. Mai 2015), dass die Forderung nach „freiem und uneingeschränktem Recht auf Asyl“ auch von der Socialist Workers Party (USA) nach der Reichspogromnacht im November 1938 in Deutschland aufgestellt wurde. Als Workers Vanguard (13. März 2013) bemerkte: „Die SWP führte eine landesweite Kampagne, vor allem in der Arbeiterbewegung, um uneingeschränkte Einwanderung für die Hunderttausenden von Flüchtlingen vor dem Nazi-Terror zu fordern.“ Die SWP-Zeitung Socialist Appeal (26. November 1938) hatte die Überschrift: „Genug der frommen Tränen! Lasst die Flüchtlinge rein!“ Die gleiche Ausgabe berichtete über eine Resolution der trotzkistisch geführten General Drivers Union Ortsgruppe 544 in Minneapolis, die forderte, „die Tore der Vereinigten Staaten den Unterdrückten Europas zu öffnen“.


1938 forderte die damals trotzkistische SWP, Flüchtlinge vor Hitlers Terror ins Land zu lassen.
Die ex-trotzkistische IKL sagt, dass heutige syrische Flüchtlinge eigentlich „Displaced Persons“ sind, auf der Suche nach einem „besseren Leben“, und weigert sich schändlicher Weise, für sie Asyl oder Einlass zu fordern. Aber sie hat „Mitgefühl für ihre Not“. 

In ähnlicher Weise, um ihre aktuelle Flüchtlinge-draußen-bleiben-Position zu rechtfertigen, hat die IKL „Flüchtling“ umdefiniert. „Für uns ist ‚Flüchtlinge‘ ein politischer Begriff, mit dem Opfer rechten Terrors bezeichnet werden“ (wie Eibhlin McDonald, Führerin der britischen Sektion, es in einem Dokument vom 27. Mai 2015 ausdrückt). Spartacist-Redakteur Meyers argumentiert (in einem Dokument vom 16. Juli 2015), dass „diejenigen, die vor ‚den Verwerfungen des Krieges‘ fliehen, keine Flüchtlinge in irgendeinem politisch belangreichen Sinne sind, sondern eher ‚Displaced Persons‘“. Atemberaubend. „Displaced Persons“ wurde verwendet, um die Insassen der berüchtigten „DP-Lager“ zu bezeichnen, wo Juden, die den Holocaust überlebt hatten festgehalten wurden, und am Betreten der Vereinigten Staaten gehindert wurden. Der Begriff „Displaced Person“ wurde erfunden, um ihnen den Status von Flüchtlingen zu verweigern, der mit einigen vermeintlichen Rechten einhergeht. Der Displaced Persons Act von 1948 war so antisemitisch, dass Präsident Truman bei der Unterzeichnung sagte, dass „dieser Gesetzentwurf eklatant diskriminierend ist“ und „jüdische Displaced Persons ausschließt“. Dieser ausschließende Begriff ist jetzt anscheinend die bevorzugte Bezeichnung der IKL, weil „Flüchtling“ ein Recht auf Asyl impliziert, das zu fordern sie sich jetzt weigert.

Man könnte noch hinzufügen, dass, als die Flüchtlingsfrage einige Monate später wieder in der IKL aufkam, Meyers schrieb (5. Oktober 2015): „Die überwiegende Mehrheit von denjenigen, die in EU-Länder (oder die USA) einreisen wollen, suchen lediglich ein besseres, sichereres Leben. Wir haben Mitgefühl für ihre Not. Aber wir wissen, dass die Antwort auf ihre Probleme nicht im Versuch liegt, von Land zu Land zu ziehen, sondern im Kampf gegen die kapitalistischen Ausbeuter, wo immer sie sind.“ Das ist die gleiche Linie, die er auch bei der L.O. Fête verbreitete, dass sie, anstatt zu fliehen, zu Hause kämpfen könnten (sollten). Um sein Argument zu stützen, dass es kein „Recht auf Asyl im... Land seiner Wahl“ gibt, bezieht er sich im vorigen Satz desselben Dokuments auf den berühmten Fall von 900 Juden an Bord des Dampfers St. Louis, denen die Einreise von Kuba, den USA und Kanada 1939 verweigert wurde. Die Tatsache, dass sie in die USA kommen wollten und abgelehnt wurden, war eine Gräueltat. Es stellt sich die Frage: Denkt Meyers vielleicht, dass die SWP 1939 nicht „freies und uneingeschränktes Asylrecht“ hätte fordern sollen? Und stattdessen den Flüchtlingen zu sagen, dass sie umkehren sollten, um Hitler in Deutschland zu bekämpfen? Ohne Zweifel werden syrische Flüchtlinge das leere „Mitgefühl“ der IKL für ihre „Not“ ordentlich zu schätzen wissen. Mitgefühl ja, Asyl nein.

Nieder mit der Dublin-III-­Abschiebeverordnung!

Der Kampf um die Einwanderungs- und Asylpolitik tauchte in der IKL im September 2015 wieder auf, als einige Mitglieder ihrer deutschen Sektion SpAD, sich gegen eine Polemik in einem Spartakist-Artikelentwurf wandten. Dieser kritisierte die Revolutionäre Internationale Organisation (RIO, Teil der Fracción Trotskista der argentinischen PTS), Gruppe Arbeitermacht (Schwesterorganisation der Red Flag Platform in der britischen Labour-Partei) und Sozialistische Alternative (SAV, Sektion des Committee for a Workers International von Peter Taaffe) nicht nur für ihre liberal-utopische Forderung nach „offenen Grenzen“, sondern auch dafür, die Dublin-III-Verordnung der EU abzulehnen. Wie wir angemerkt haben, schreibt Dublin III (offiziell EU-Verordnung 604/2013) vor, dass Asylanträge von Flüchtlingen im ersten EU-Land, das sie betreten haben, bearbeitet werden müssen. Damit schafft es die Basis dafür, dass diejenigen, die es nach Nordeuropa geschafft haben, zurück nach Griechenland oder Italien „transferiert“ werden, um dort eingesperrt und dann abgeschoben zu werden. Dublin III ist eine Vorschrift für „Abschiebung im Schnellverfahren“, die revolutionäre Marxisten entschieden ablehnen müssen, genauso wie wir Abschiebungen von Einwanderern und Flüchtlingen insgesamt ablehnen.

Aber Workers Vanguard (Nr. 1077, 30. Oktober 2015), „Flaggschiff-Zeitung“ der IKL, kritisierte das CWI dafür, die Abschaffung von Dublin III zu fordern, und verkündete: „Marxisten nehmen keine Position zur Flüchtlings-‚Lastenverteilung‘ zwischen kapitalistischen Regierungen.“ Intern formulierte die Führerin der Spartacist League/Britain McDonald es unverblümter: Es sei nicht die Sache der IKL, „sich einzumischen, in welches Land Einwanderer und Asylsuchende geschickt werden“ (27. Mai 2015). Also wenn jemand abgeholt und in ein anderes EU-Land „geschickt“ (abgeschoben) wird, so ist das „nicht die Sache“ dieser vorgeblichen Trotzkisten? Der Artikel in WV Nr. 1077 behauptet weiter: „Vielmehr lehnen wir alle Abschiebungen ab, ungeachtet ihrer Rechtsgrundlage.“ Aber mit ihrer Weigerung Dublin III abzulehnen, akzeptiert die IKL die „Rechtsgrundlage“, die die Bourgeoisie nutzt, um Flüchtlinge von nordeuropäischen Ländern fernzuhalten und diejenigen zu terrorisieren (sowie abzuschieben) die es dorthin geschafft haben. Dies steht im Einklang mit ihrem Anprangern von Forderungen zur „Aufhebung von immigrantenfeindlichen Gesetzen“ (in Spartaco, April 2016). Im Gegensatz dazu ruft die LVI auf zu Arbeiteraktionen um alle Abschiebungen zu verhindern und auch dazu, alle rassistischen und diskriminierenden Immigrationsgesetze abzulehnen, wie es die IKL früher tat.

Außerdem widerspricht die aktuelle Weigerung der IKL, Dublin III abzulehnen, dem Programm für das sie kämpfte, als sie sich noch auf den revolutionären Trotzkismus stützte. 1992/93 stimmte der deutsche Bundestag für den „Asylkompromiss“ von CDU/CSU, FDP und SPD, der das bisherige uneingeschränkte Recht von Flüchtlingen auf Asyl demontierte, welches in den Verfassungen von Bundesrepublik und DDR enthalten war. Von da an waren Flüchtlinge, die über ein anderes EU-Land oder ein „sicheres“ Drittland einreisten, nicht mehr asylberechtigt und konnten aus Deutschland ausgewiesen werden. Dublin III ist lediglich die Übernahme des deutschen Gesetzes durch den Rest der EU. Während der „Asyl-Debatte“ titelte Spartakist „Arbeiter: Verteidigt Immigranten und Asylrecht!“ (Mai 1992) und „Rassistische Volksfront will Asylrecht vernichten“ (November/Dezember 1992) mit einem Foto von einem SpAD-Banner mit der Forderung: „Volle Staatsbürgerrechte für eingewanderte Arbeiter und Familien!“ Nach dem neuen Gesetz wurden weniger als 2 Prozent aller Asylanträge anerkannt.

Als Reaktion auf die Forderungen von IKL-Dissidenten in Deutschland und Britannien, Dublin III abzulehnen, erklärte die IKL-Führung, dass dies „den sozialdemokratischen Rahmen eines netteren, zahmeren Europas übernimmt, und dem liberalen Mythos von ‚offenen Grenzen‘ zwischen den Staaten des Schengener Abkommens Glauben schenkt“ (IS-Antrag, 20. Oktober 2015). Gleichzeitig, wie im Spartaco-Artikel (April 2016) wiederholt wurde, lehnte der Antrag Forderungen nach „Reisefreiheit innerhalb der EU“ für Einwanderer ab, da dies ebenfalls äquivalent zur Forderung nach „offenen Grenzen“ sei, obwohl nicht eingewanderte Bürger dies tun können. Kurz gesagt: Die IKL-Wende von 2015, sich zu weigern, Asylrecht für Flüchtlinge zu fordern, und ihre Opposition zur Ablehnung des Dublin-III-Abschiebe-Regimes, sowie zur Forderung nach Reisefreiheit für Flüchtlinge in der EU, widersprechen allesamt ihrer angeblichen Unterstützung von vollen Staatsbürgerrechten für alle Immigranten.

Was genau „volle Staatsbürgerrechte“ in den Augen der heutigen IKL überhaupt bedeuten soll, kann man nur vermuten. McDonald geißelt den zurückgezogenen Workers Vanguard-Entwurf für „lächerlich verblendete Forderungen gerichtet an die EU-Imperialisten, unter anderem, dass der ‚Sozialstaat‘ auch für Einwanderer gelten sollte“ (27. Mai 2015). Also „Staatsbürgerrechte“, aber keine Gesundheitsversorgung? Tatsächlich ist die neue Linie der IKL eine Kapitulation vor immigrantenfeindlichem Chauvinismus, inmitten einer Krise, in der sich solche Stimmungen dramatisch ausgeweitet haben. Mit der ausschließlichen Fokussierung auf Opposition gegen liberale bürgerliche Illusionen in „offene Grenzen“ im Kapitalismus, hat sie sich in der Praxis mit den rückschrittlichsten xenophoben Elementen verbündet.

Es ist lehrreich, die Selbstkritiken und eigennützigen Erklärungen der verschiedenen Akteure des IKL-Psychodramas zu lesen, warum sie beinahe (Oh Schreck!) einen Aufruf für Asyl für die Flüchtlinge vor nahöstlichen Kriegen veröffentlicht hätten. WV-Redaktionsmitglied Alan Wilde schrieb (30. Mai 2015), dass sie mit der Übernahme einer „Lasst-sie-rein“-Linie „die Notwendigkeit von proletarischer Revolution und Arbeitermacht mit sozialarbeiterischem Gutmenschentum ersetzen“ würden. Ein weiterer Kader, R., schrieb (27. Mai 2015): „Ich dachte, wo ziehst du die Grenze? Wenn Leute in die Boote steigen? Wenn sie Libyen erreichen? Oder davor?“ McDonald (27. Mai 2015) bezog sich auf das Bedürfnis, sich auseinanderzusetzen mit den „Menschen in den Booten, die zu tausenden ertrinken, oder mit denjenigen, die darauf warten, in Boote zu kommen, für den Versuch, Europa zu erreichen. Ein Druck in Richtung Liberalismus kommt daher, nicht als ‚gleichgültig‘ gegenüber der Not verzweifelter Flüchtlinge gesehen werden zu wollen. Aber wir könnten besser darin werden, diesem Druck zu widerstehen.“ Sie kann sich beruhigen, die IKL ist ziemlich gut darin geworden (als gleichgültig gegenüber dem Schicksal von Flüchtlingen gesehen zu werden). Aber authentische Trotzkisten haben eine andere Aufgabe: Die Mobilisierung der Arbeiterklasse, um die Unterdrückten zu verteidigen.


Einwanderer, die aus Deutschland nach der EU-Verordnung Dublin III „transferiert“ (abgeschoben) werden,
werden vor allem nach Bulgarien, Italien und Spanien geschickt, wo sie inhaftiert und dann aus der EU ausgewiesen werden. Die IKL prangert Forderungen nach der Abschaffung von Dublin III an, mit der absurden Behauptung, diese würden Illusionen in eine „freundlichere, sanftere“ EU schaffen. 
(Foto: n-tv)

In einer besonders widerlichen Perversion der Realität, täuschen IKL-Führer jetzt vor, dass der Grund für ihre Probleme ihre übermäßige Sorge um die Not der Unterdrückten war. „Der liberal-humanitäre Wunsch, diesen verzweifelten Seelen etwas konkretes anzubieten, war genau der Impuls, der uns vor fünf Jahren in den Haiti-Verrat führte“, schrieb Ray Bishop (1. Juni 2015), in Bezug auf die dreimonatige Unterstützung der IKL für die US-Invasion von Haiti nach dem Erdbeben im Januar 2010. Wilde wiederholte das und sagte, dass die Methodologie „derjenigen ähnelt, die beim Haiti-Verrat genutzt wurde – d.h. Menschenmassen leiden und sterben, und wir müssen ein Sofortprogramm aufstellen, um ihre Situation aufzugreifen. Im Fall von Haiti führte es zur Kapitulation vor dem US-Imperialismus; in diesem Fall führte es zu Liberalismus und Utopie, sowie zum übernehmen der ‚Soziales-Europa‘-Linie.“

Also wenn sie über das Schicksal der Erdbebenopfer hartherziger gewesen wären, hätten sie sich nicht für die US-Armee als humanitäre Retter begeistert?! Das ist eine zynische nachträgliche Rationalisierung und Vertuschung für ihren sozial-imperialistischen Verrat. Der Grund dafür war die zunehmende Kapitulation der IKL vor ihren eigenen imperialistischen Herrschern: Vom Fallenlassen der Forderung nach Unabhängigkeit für Puerto Rico 1998 (und später für die französischen Kolonien Guadeloupe und Martinique), zum Fallenlassen des Rufs nach der Niederlage des eigenen Imperialismus in den Kriegen nach den Anschlägen vom 11. September 2001.

Als die IKL ihre eigene Haiti-Linie „hart verurteilte“, schrieben wir: „[D]iejenigen, die nicht einfach weiter in zentristischer Verwirrung rotieren wollen, während sie darauf bestehen, die revolutionäre Führung ‚zu sein‘, müssen gründlich nach den Ursachen des Verrats suchen. Diejenigen, die ehrlich die Wurzeln der pro-imperialistischen ‚Politik des Möglichen‘ der Spartacist League über Haiti finden wollen, würden gut daran tun, die Realität ihrer Anpassungen und Kapitulationen vor der ‚eigenen‘ Bourgeoisie über die vergangenen Jahren zu untersuchen“ (siehe „Offener Brief der Internationalist Group an die Spartacist League und IKL“, The Internationalist Nr. 31, Mai 2010). Nachdem die IKL eine solche Untersuchung über die Wurzeln ihres Haiti-Verrats nicht durchgeführt hat, war sie dazu verdammt, ihn zu wiederholen – was sie jetzt tut: Sie stellt sich in eine Reihe mit den rückschrittlichsten Elementen der Bourgeoisie, einschließlich Faschisten und Rassisten, indem sie hyperventiliert über die Gefahren „offener Grenzen“ und „unbegrenzter Masseneinwanderung“, um zu rechtfertigen, nicht den Einlass syrischer Flüchtlinge zu fordern.

Mitglieder der IKL sollten sich fragen, ob sie Flüchtlingen in Schlauchbooten vor der griechischen Insel Lesbos wirklich sagen wollen, dass sie keine Flüchtlinge sind, sondern „Displaced Persons“, die kein Recht haben, die Festung Europa zu betreten. Ob sie Agyemin aus Ghana und Mohammad aus Gambia, die in einem „Willkommenslager“ in Sizilien festgehalten werden („Immer wieder vertriebene afrikanische Migranten hatten nicht vor in Italien zu landen“, New York Times, 2. Mai 2015), wirklich erzählen wollen, dass es die IKL nichts angeht, dass sie nicht nach Nordeuropa reisen dürfen, weil diese Forderung „offene Grenzen“ bedeuten würde und Deutschlands oder Schwedens Recht auf Selbstbestimmung bedrohen würden. Ob sie die Eltern von Alan Kurdi (der Zweijährige, dessen Körper in der Türkei angespült wurde und der zum Symbol für das schreckliche Leid syrischer Flüchtlinge wurde) informieren wollen, dass sie in Kobanê hätten bleiben und auf der Seite des Islamischen Staat hätten kämpfen sollen, der die Kurden zu massakrieren drohte. Wenn man all dies sagen kann, und ohne eine Miene zu verziehen, und noch beanspruchen kann, für volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten zu kämpfen, dann ist man in der IKL richtig.

Wenn man jedoch danach strebt, als leninistischer „Volkstribun“ für alle Unterdrückten zu kämpfen, dann ist es höchste Zeit, zum Trotzkismus zurückzukehren und zur Liga für die Vierte Internationale zu kommen, die auf dem ursprünglichen Programm der IKL basiert, das diese längst aufgegeben hat.